Philipp Reis: Formen, Phasen und Motivationen der Auseinandersetzung mit dem Telephon.
Versuch einer Bestandsaufnahme

Dieser Beitrag ist die Zusammenfassung eines Forschungsberichtes, den ich 1990/91 für die Technische Hochschule in Darmstadt verfaßt habe. Er wurde erstmals 1992 als Band 16 der „Berliner Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik“ von F. G. Rheingans und E. Swinne herausgegeben und 1994 von J. Becker in seinem Sammelband „Fern-Sprechen. Internationale Fernmeldegeschichte, -soziologie und -politik“ wieder abgedruckt.

Ich setze mich hierin mit der Literatur zu Philipp Reis (1834-1874) und seinem Telephon, das er zwischen 1860 und 1863 konstruierte und öffentlich vorstellte, auseinander. Die hierzu vorliegende Literatur ist überaus umfangreich und, wie ich damals feststellte, „durch einen hohen Grad an Homogenität hinsichtlich ihrer methodischen und theoretischen Paradigmen und starke inhaltliche Redundanzen gekennzeichnet, die den Eindruck vermitteln, es liege hier ein wissenschaftlich weitestgehend untersuchter Gegenstandsbereich vor, der zunehmend weniger Ansatzpunkte für neue Forschungsarbeiten und -ansätze bot und bietet.“

Eine Beschäftigung mit den ersten Telephon-Experimenten, d.h. mit den von  Philipp Reis gebauten und vorgeführten Geräten, die  mit Hilfe der Elektrizität Sprache und andere komplexe Schallvorgänge übertrugen, gab es von der ersten öffentlichen Präsentation seines Telephons vor dem „Physikalischen Verein“ in Frankfurt 1861 an, und es gibt sie bis zum heutigen Tag.

Bei einer Betrachtung der Literatur hierzu habe ich zwei zeitlich eingrenzbare Perioden der Beschäftigung mit diesen Versuchen und Nachweisen unterschieden, die zeitgenössische (ich habe diese als Primärrezeption bezeichnet) und die spätere Rezeption (die Sekundärrezeption).

Unter Primärrezeption verstehe ich dabei im Großen und Ganzen die zeitgenössische Auseinandersetzung mit Reis und seinen Experimenten, d.h. Zeugnisse aus dem Zeitraum von Reis erster öffentlicher Vorführung seines Telephons - also von 1861 - bis zur Patentanmeldung auf das Telephon durch Alexander Graham Bell (1847-1922) im Jahre 1876, also zwei Jahre nach dem Tod von Philipp Reis 1874. Diese Erweiterung der „zeitgenössischen“ Auseinandersetzung mit Reis über seinen Tod hinaus ist notwendig, da rezeptionsgeschichtlich die Patentanmeldung von Bell und damit der Beginn der kommerziellen Auswertung dieser Erfindung 1876 die entscheidende Zäsur in der Beschäftigung mit Reis ist.

Die Sekundärrezeption, also die Beschäftigung mit der Arbeit von Reis nach der Patentanmeldung von Bell, reicht bis zum heutigen Tage. Sie umfaßt somit den größten Teil der Literatur zum Telephon von Philipp Reis und hat unter anderem die Vorgänge und Zusammenhänge der zeitgenössischen Primärrezeption zum Gegenstand.

Primär- und Sekundärrezeption unterscheiden sich durch einen Perspektivwechsel im Hinblick auf die inhaltlichen Schwerpunkte, die Erkenntnisinteressen und Motivationen.

In meiner Untersuchung „Das Telephon von Philipp Reis. Eine Apparategeschichte“ beschäftige ich mich ausschließlich mit dem Bereich der Primärrezeption, d.h. der Beschäftigung mit Philipp Reis und seiner Arbeit vor 1876. In der vorliegenden Darstellung dagegen geht es ausschließlich um die Untersuchung von Inhalten, Motiven und Wirkungsabsichten des Schrifttums der zweiten Periode, der der Sekundärrezeption.

Ich versuche hier einen Überblick über Art und Umfang der Sekundärliteratur ab 1876 zu geben, sie verschiedenen Phasen der Auseinandersetzung mit Reis zuzuordnen und unterschiedliche Motivationen für die Beschäftigung mit den frühen Telephonexperimenten in Deutschland zu verdeutlichen. Es läßt sich dabei zeigen, daß durch die historischen Veränderungen der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen nach dem Ersten Weltkrieg, durch die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland und das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur historische Rahmendaten gesetzt sind, sondern daß dadurch Phasen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Interessen und Motivationen für die Beschäftigung mit Reis bedingt sind. Entsprechend werden in der Untersuchung vier Phasen der Auseinandersetzung unterschieden:

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Die historische Ausgangssituation der Sekundärrezeption.

3. Phasen der Sekundärrezeption

Phase I (1876-1918) Anglo-amerikanischer Rezeptionsbereich

Phase I (1876-1918) Deutscher Rezeptionsbereich

Phase II (1918-1933)

Phase III (1933-1945)

Phase IV (1945 bis heute)

4. Einschätzungen und Perspektiven

Mit den von mir hier vorgelegten Fakten und Überlegungen zu theoretischen und methodischen Ansatzpunkten der bisherigen Rezeption und deren historischen Kontexten versuche ich - wie ich es damals formuliert habe - „die Homogenität der theoretischen und methodischen Paradigmen aus ihrer Entwicklung heraus zu erklären und zu zeigen, welche Bedingungen konstitutiv sind für diese Homogenität, worin diese im Einzelnen besteht und Alternativen zu dieser gängigen Forschungspraxis aufzuzeigen und neue Aufgaben und Arbeitsfelder als Desiderate bisheriger Forschung zu benennen.“

An der Aktualität meiner damaligen Ausführungen kann ich heute (also Ende 1999) kaum Korrekturnotwendigkeiten erkennen, mit der Ausnahme, daß ein Teil der Forschungsdesiderate mit meinem Buch „Das Telephon von Philipp Reis. Eine Apparategeschichte. Marburg 1999“ behoben sein dürfte.

Rolf Bernzen

Philipp Reis. Formen, Phasen und Motivationen der Auseinandersetzung mit dem Telephon. Versuch einer Bestandsaufnahme.

Berliner Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik,

Band 16, (Hrsg. von F. G. Rheingans und E. Swinne)

ERS Verlag, Berlin 1992

ISBN 3-928577-14-X

9,-- Euro

 oder als Beitrag (mit anderen Abbildungen)

  Rolf Bernzen

Philipp Reis. Formen, Phasen und Motivationen der Auseinandersetzung mit dem Telephon. Versuch einer Bestandsaufnahme. In:

Jörg Becker (Hrsg.): Fern-Sprechen. Internationale Fernmeldegeschichte, -soziologie und -politik. [Seiten 46 - 89]

Vistas Verlag, Berlin 1994

ISBN 3-89158-094-0
 

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